1,5 Millionen Pfund für eine einzige Schallplatte

Warum der Absatz von Vinyl nach langem Sinkflug wieder steigt – und welche Rolle der Onlinehandel dabei spielt.

17. Oktober 2022

London, Juli 2022

Nostalgie ist lukrativ. Das hat wohl auch Bob Dylan erkannt. Der große Protestsänger der Sechzigerjahre brachte jüngst einen neuen Song auf den Markt. Wobei „neu“ hier nur die halbe Wahrheit ist, es war tatsächlich nur eine Neuaufnahme seines Songs „Blowin’ in the Wind“. Doch das auf Schallplatte gepresste Einzelexemplar übertraf beim Londoner Auktionshaus Christie’s mit 1,5 Millionen Pfund sogar den hohen Schätzpreis weit.

Das erfolgreiche Geschäft des 81-Jährigen liegt nicht allein darin begründet, dass viele seiner Fans wohl alt genug sind, um mit Schallplatten noch etwas anfangen zu können. Denn tatsächlich haben auch deutlich jüngere Künstler das neue Format für sich entdeckt. Billie Eilish, Popstar der Stunde und fast 40 Jahre nach der Originalveröffentlichung von „Blowin’ in the Wind“ geboren, verkaufte vergangenes Jahr 73.000 Schallplatten ihres Zweitwerkes „Happier Than Ever“. Taylor Swift verkaufte in der ersten Woche nach Veröffentlichung ihres Albums „Evermore“ sogar 102.000 Exemplare; der höchste Wert seit mindestens 1991 (vorher wurden Vinyl-Verkäufe nicht gesondert registriert). 2021 wurden in den USA neunmal so viel Schallplatten verkauft wie noch 2011. Auch die Zahl der verkauften Plattenspieler steigt von Jahr zu Jahr, erreichte 2021 in den USA 82.000. 2012 war es noch weniger als die Hälfte gewesen.

Damit werden Schallplatten und die für das Abspielen nötige Hardware auch interessant für den E-Commerce. Denn während Sammler bei alten Platten sehr auf Zustand und Qualität achten – was im physischen Laden einfacher ist – können sich Käufer auf den guten Zustand bei Neuveröffentlichungen verlassen und diese entsprechend auch bequem online kaufen.

Vor allem die Generation Z treibt das Vinyl-Comeback

Treiber dieses Trends sind dabei keinesfalls nostalgische Boomer oder Mitglieder der Generation X (die wohl nicht zu den Hauptfans von Eilish und Swift gehören). Es ist die Generation Z, die nach 1997 geborenen, die Schallplatten wieder für sich entdeckt haben. 15 Prozent von ihnen haben laut einer Studie in den vergangenen zwölf Monaten eine Schallplatte gekauft. Bei den Millennials (auch Generation Y genannt), ihrer direkten Vorgängergeneration, waren es lediglich elf Prozent. Entsprechend gehören zu den fünf am meisten verkauften Schallplatten des Jahres 2021 neben Billie Eilishs Album weitere Jugendikonen wie Olivia Rodrigo und Harry Styles.

Warum aber greifen junge Menschen, die lange nach der Hochphase des Plattenspielers geboren wurden, überhaupt wieder zu diesem altbackenen Medium? Experten und Marktinsider sehen mehrere mögliche Ursachen. Grundsätzlich erlebt alles Analoge gerade in dieser Generation einen Hype. Auch Kassetten und Analogkameras verzeichnen steigende Nachfrage, sogar der gute alte Super-8-Film. Der Musikdatendienst MRC Data fragte in seinem Jahresbericht Experten, wie sie sich das Phänomen erklären. Ein Vorteil, so das Fazit, sei, dass man sich mit Schallplatten besser auf die Musik konzentrieren könne, es sei verbindlicher als der ziellose Streifzug durch die Streaming-Bibliothek. Dazu kommt, dass in vielen populären Filmen und TV-Sendungen zunehmend wieder Schallplatten zu sehen sind.

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Die Künstler sehen ebenfalls das Potenzial und versehen ihre Vinylplatten, die ihnen im Zweifel mehr Geld einbringen als ein Onlinestream, mit netten Beigaben. Der Rapper Childish Gambino etwa verkaufte die Vinyl-Version seines Albums „Awaken, My Love“ mit einer VR-Brille und einer App, die Zugang zu einer 360-Grad-Konzert-Erfahrung geben sollte. Kostenpunkt: um die 60 US-Dollar. Auch das Rap-Duo Run the Jewels peppte seine Platte mit Augmented-Reality-Aspekten auf.

Sonos, Ikea, Shinola: Große Marken glauben an den Trend

Längst schlägt der Erfolg auch auf andere Unternehmen durch. Sonos, vor allem bekannt für seine kabellosen Lautsprecher, vermarktet mittlerweile aktiv die Möglichkeit, diese mit einem Plattenspieler zu verknüpfen. Ikea brachte eine Audio-Kollektion inklusive Plattenspieler auf den Markt. Und die ultrahippe Lifestyle-Marke Shinola, die ansonsten vor allem Uhren und Lederwaren vertreibt, brachte als ersten Vorstoß in die Welt der Audioprodukte ausgerechnet einen Plattenspieler heraus. Manche Unternehmen kooperieren auch direkt mit Künstlern. So legte Pro-Ject Audio Systems gemeinsam mit der Metalband Metallica einen limitierten Plattenspieler auf, den „Master of Vinyl“. Das zeigt: Unternehmen haben angesichts der Preisentwicklung und der Umsatzzahlen bei Schallplatten schnell erkannt, dass hier ein durchaus ausgabefreudiges Kundensegment ist, das bisher unterversorgt war. Das Rennen um die besten Positionen auf einem überraschenden Wachstumsmarkt hat also begonnen.

Sebastian Klumpp
CEO

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