Der Direct-to-Consumer-Vertrieb, kurz D2C oder DTC, ist in den letzten Jahren zu einem der großen Trends im Handel geworden. Dabei verkaufen Marken bzw. Hersteller ihre Produkte ohne Zwischenhändler direkt an den Endverbraucher.
Möglich wurde diese Entwicklung nicht zuletzt durch das Internet, wo die Einstiegshürden in den Markt so niedrig sind wie noch nie zuvor. Online ist ein eigener Shop schnell eingerichtet, entweder klassisch auf der eigenen Website, mobil als App oder sogar über Messenger, wie der Shop der Luxus-Modemarke Threads. Noch einfacher als im eigenen Shop geht der Vertrieb auf Online-Marktplätzen wie Amazon, Otto oder Zalando vonstatten. Hier wird die Infrastruktur von der Verkaufsplattform gestellt. Im Gegenzug verdient der Anbieter über Gebühren und Provisionen an den Verkäufen mit.
D2C: Neue Vertriebswege für kleine und große Unternehmen
Innovative junge Start-Ups haben als erste entdeckt, dass sich der Online-Direktvertrieb mehr lohnt, als klassische Zwischenhändler miteinzubeziehen. So sind online auch einige neue Verkaufsmodelle entstanden, die sich teilweise stark von denen des herkömmlichen Handels unterscheiden. Das Unternehmen Harry‘s bietet beispielsweise Rasierklingen im Abo an, denn der Bedarf nach Rasierklingen ist bei den Kunden meist kontinuierlich.
Doch es sind längst nicht nur kleine Start-Ups, die den Direktvertrieb für sich entdeckt haben. Auch große Konzerne wie Adidas oder Lego setzen immer stärker auf ihre eigenen (Online-)Shops. Dort locken sie Käufer mit Individualisierungsoptionen oder sogar mit exklusiven Produkten, die im Einzelhandel nicht zu finden sind.
Das Thema Direct-to-Consumer ist in aller Munde. Wahrscheinlich fragen auch Sie sich: Eignet sich der Direktvertrieb für mein Unternehmen?
Die Chancen im D2C-Vertrieb: Mehr als eine größere Gewinnmarge
In ihrem eigenen Onlineshop haben Marken die volle Kontrolle darüber, wie sie ihre Produkte präsentieren und vermarkten. Auf Online-Marktplätzen fällt die Kontrolle über die Präsentation insgesamt kleiner aus, doch auch dort haben Verkäufer gewisse Freiheiten. Diese Kontrolle beginnt in beiden Fällen beim Preis. Logisch, denn durch den Wegfall der Zwischenhändler entfällt auch deren Gewinnmarge. Das herstellende Unternehmen kann also entscheiden, ob es selbst mehr Gewinn mit seinen Produkten einstreichen möchte oder ob es seine Produkte günstiger anbieten und damit die Konkurrenz ausstechen möchte.
Die Marke hat die Hoheit über ihre Preise, was sie umgekehrt auch vor unerwünscht niedrigen Preisen bewahrt. Dadurch, dass Einzelhändler Online-Marktplätze immer häufiger zum Abverkauf ihrer Ware nutzen, haben Marken dort mit einem Imageverlust durch Dauer-Sale zu kämpfen. Im eigenen Webshop kann die Marke selbst entscheiden, wann sie die Ware zum UVP verkauft und wann ein Sale mit Discountpreisen angemessen ist.
Näher am Kunden durch D2C-Vertrieb
Im Direktvertrieb liegt auch die Verantwortung für Marketing und Kundenservice bei der Marke selbst. Dies lässt zunächst an Zusatzaufwand denken, bringt aber auch viele Chancen mit sich. Marken erhalten die volle Kontrolle über Markenidentität und Branding, also letztendlich über ihr Image. Durch den Direktvertrieb wird der Kontakt zwischen Marke und Kunde viel enger. Beispielsweise kann die Bindung der Kunden an das Unternehmen und ihre Identifikation mit der Marke durch personalisierte Interaktionen gestärkt werden.
Im Kundensupport erfahren Marken dann auch, wie zufrieden Kunden mit ihren Produkten sind, welche Probleme auftreten und erhalten so wertvollen Input, wie sie ihre Produkte in Zukunft optimieren können. Durch Analysen der Retourenquote lassen sich ebenfalls Optimierungspotentiale ableiten – für die Produktpräsentation ebenso wie für die Produktentwicklung.
Kundendaten: Ein wertvolles Gut
Direktvertrieb und Kundensupport bringen noch einen weiteren Vorteil mit sich: Die Kundendaten befinden sich damit in den Händen der Marke. Diese Daten sind sehr wertvoll und verraten viel über die Kunden: Neben demografischen Daten wie Altersstruktur, Wohnorten und Geschlecht geben sie auch etwas über das Kaufverhalten der Kunden preis. Wie groß ist ein durchschnittlicher Warenkorbwert? Wie schnell nach dem ersten Kauf kehren Kunden für einen zweiten Kauf zurück? Kaufen Kunden dann Produkte, die ihren ursprünglichen Einkauf erweitern?
Mithilfe von Cookie-Tracking können außerdem Nutzer angesprochen werden, die sich bereits im Onlineshop befunden haben, jedoch keinen Kauf getätigt haben. Sogenanntes Remarketing kann sehr effektiv sein. Nicht zuletzt können Marketingabteilungen auch die E-Mail-Adressen von bestehenden Kunden für weitere Ansprachen nutzen, um das Konsumverhalten zu beeinflussen und zusätzliche Käufe anzuregen.
Die digitale Transformation im Handel weist den Weg
Letztendlich geht der Wandel zum Direktvertrieb nicht nur von Unternehmen aus, sondern auch von den Kunden. Onlineshopping ist zu einer neuen Normalität geworden und Verbraucher erwarten mittlerweile, dass sie ihre Wunschprodukte mit wenigen Klicks nach Hause bestellen können – und dies nicht erst, seit der Einzelhandel durch die Corona-Krise massiv gebeutelt wurde.
Der Einzelhandel steckt in einer tiefen Krise. Marken sollten sich daher nach weiteren Wegen umsehen, ihre Ware an den Kunden zu bringen und so Sicherheit für ihren Vertriebsumsatz zu erreichen. Im Gegenzug zum Verkauf über Online-Händler und -Marktplätze hat ein eigener Onlineshop einen klaren Vorteil: Dort können Hersteller sichergehen, dass Kunden nicht durch Konkurrenzprodukte oder günstige No-Name-Ware vom Kauf ihrer Produkte abgelenkt werden. Im Gegenzug können Kunden sicher sein, keinen Fake-Produkten aufzusitzen und nur echte Markenware zu erhalten. Exklusive Produkte und Zusatzleistungen können die Fans einer Marke außerdem davon überzeugen, statt auf großen Handelsplätzen direkt im eigenen Unternehmens-Shop zu bestellen.
Die Herausforderungen im D2C-Vertrieb: Langfristiges Change-Management
Selbstverständlich bringt der Direct-to-Consumer-Vertrieb zunächst auch Herausforderungen mit sich. Für Firmen, die jahre- oder jahrzehntelang ausschließlich auf den Händlervertrieb gesetzt haben, bedeutet der Einstieg in den Direktvertrieb, auch wenn er schrittweise erfolgt, eine Umstrukturierung vieler Unternehmensbereiche: E-Commerce-Experten müssen eingestellt werden, Investitionen in Marketing und Kundensupport sind nötig, die Logistik muss angepasst werden. Andere Abteilungen werden dagegen personell und finanziell eher abgebaut. Auch wenn eine Marke die Gewinne im D2C-Vertrieb selbst einstreichen kann, werden zunächst zusätzliche Ausgaben auf sie zukommen.
Miteinander, nicht gegeneinander
Große, klassische Marken haben oft langjährige Geschäftsbeziehungen zu verschiedenen Retailern aufgebaut und sind daher in ihren Handlungsoptionen eingeschränkt. Grundsätzlich ist die Aufkündigung aller Geschäftsbeziehungen auch nicht das vorrangige Ziel, wenn eine Marke in den Direktvertrieb einsteigt. Die Devise muss lauten: Mit dem Handel, nicht gegen den Handel agieren.
Marken sollten sich die Frage stellen, wie sie mit dem klassischen Handel koexistieren können und wo sie sich sogar sinnvoll ergänzen können. Eine Möglichkeit hierfür ist zum Beispiel, vom Onlineshop aus auf andere Verkäufer bzw. Händler zu verlinken, wenn ein bestimmter Artikel nicht selbst angeboten werden kann.
Direktvertrieb bringt eine große Verantwortung mit sich
Im Direktvertrieb muss eine Marke selbst die Verantwortung für die Kundenzufriedenheit und das Markenimage übernehmen. Die damit verbundene Chance wird allerdings zur Herausforderung, wenn sie sich der Wichtigkeit von hochwertigem Kundensupport nicht bewusst ist. Denn nur zufriedene Kunden kommen wieder und wiederkehrende, loyale Kunden sind essenziell für den Erfolg im Direktvertrieb.
Für Konsumenten bringt der D2C-Verkauf nämlich auch gewisse Nachteile mit sich. Aus Kundensicht ist es beispielsweise unpraktisch, nicht alle gewünschten Produkte im gleichen Onlineshop erwerben zu können. Daher ist es umso wichtiger, dass die positiven Aspekte des Kaufs bei den Kunden überwiegen und sie das Kauferlebnis insgesamt positiv in Erinnerung behalten.
Fazit
Kleine und große Marken gleichermaßen haben mittlerweile erkannt, dass der Direktvertrieb der eigenen Produkte viele Vorteile mit sich bringt. Die Hoheit über Preis und Präsentation von Produkten sowie die Kundenzufriedenheit liegen in der eigenen Hand.
Darüber hinaus sind generierte Kundendaten ein wertvolles Gut, auf das Marken im D2C-Vertrieb Zugriff bekommen. Weiß ein Unternehmen diese Daten richtig zu nutzen, kann es einen großen Wettbewerbsvorteil aus diesen Informationen ziehen. Auch die Kunden selbst profitieren von der Option, unkompliziert Produkte direkt von ihren Lieblingsmarken zu beziehen.
Gerade für größere Marken bedeutet der Einstieg in den Direktvertrieb natürlich auch eine gewisse Herausforderung, bei der etablierte Geschäftsprozesse hinterfragt und Abteilungen umstrukturiert werden müssen. Im großen Ganzen sind die Einstiegshürden ins D2C-Business heute allerdings gering im Vergleich zum potenziellen Gewinn, nicht nur monetärer Art, der auf die Unternehmen wartet, die diese Herausforderung nicht scheuen.