Online-Marktplätze: Expertin Valerie Dichtl im Interview

Online-Marktplätze wie ebay, Amazon oder Zalando oder erfreuen sich seit Jahren steigender Beliebtheit. Vor allem in der Fashionbranche ist eine hohe Dynamik im Marktplatz-Geschäft.

20. August 2022

Valerie Dichtl kann auf über 10 Jahre Erfahrung mit Online-Marktplätzen zurückblicken, zunächst auf Marktplatzseite und dann auf der Markenseite. Dort hat sie die wachsende Relevanz von Online-Marktplätzen live miterlebt. 2019 hat sie daher beschlossen, sich selbständig zu machen und die Marketplace Uni gegründet, wo sie Mitarbeitern von Sport- und Fashionmarken ihr Wissen über Online-Marktplätze vermitteln möchte.  

Wir haben uns mit Valerie getroffen und mit ihr über die aktuellen Entwicklungen auf Online-Marktplätzen gesprochen.

Online-Marktplätze haben in den letzten Jahren stark an Relevanz gewonnen. Wie erklärst du dir diese Entwicklung?

Ich sehe dafür zweierlei Gründe: Einerseits weil es immer mehr D2C-, also Direct-to-Consumer-Brands gibt, die gar nicht mehr klassisch über Großhändler verkaufen, sondern den Verkauf ihrer Produkte in die eigene Hand nehmen.

Andererseits ist der Run auf die Marktplätze dadurch bedingt, dass die großen Online-Shops wie Zalando, About You oder myToys auf den Marktplatztrend aufspringen und ihren Fokus jetzt darauf legen, Marken dazu zu bringen, mehr und mehr selbst über ihre Marktplätze zu verkaufen. Für die Shops ist es nämlich wesentlich risikoärmer, wenn sie die Ware nicht selbst kaufen müssen, sondern wenn sie ihren Online-Shop nur als Plattform zur Verfügung stellen und dafür eine Provision bekommen. Zudem können die Online-Shops durch das Marktplatzangebot ihre Selektion erweitern und durch ihre große Reichweite können Sie den Endkunden mehr Produktvielfalt anbieten.

Was ist aus Markensicht das Besondere an Online-Marktplätzen gegenüber anderen Vertriebswegen?

„Im Marktplatzbusiness haben Marken wesentlich mehr Entscheidungsmöglichkeiten wie und wo sie welche Produkte verkaufen möchten.“

Das Besondere ist, dass Marken dort selbst entscheiden können, welche Produkte sie zu welchem Preis verkaufen. Bei den meisten Marktplätzen braucht eine Marke nur einmal eine Freigabe, dann darf sie verkaufen. Ab da kann sie selbst entscheiden, ob sie ihre ganze Kollektion zeigen möchte oder beispielsweise nur fünf ausgewählte Artikel.

Im Wholesale hingegen hat der Einkäufer des Händlers ein bestimmtes Budget und entscheidet damit, welche Produkte ins Sortiment aufgenommen werden. Im Marktplatzbusiness haben Marken also wesentlich mehr Entscheidungsmöglichkeiten wie und wo sie welche Produkte verkaufen möchten.

Was ist der Vorteil von Online-Marktplätzen gegenüber einem eigenen Online-Shop?

Viele Marken denken bei Direktvertrieb erstmal an einen eigenen Online-Shop. Von den Prozessen und Abwägungen im Hintergrund funktionieren Marktplätze auch ähnlich wie ein eigener Shop: Wie geht die Ware online? Welche Bilder brauche ich und welche Produktdaten? Wie liefere ich an den Endkunden? Aber auf Marktplätzen kannst du ein bestehendes System nutzen. Bei einem Online-Shop musst du dich zusätzlich darum kümmern, dass du eine Shop-Software hast und wie der Shop im Frontend aussieht.

Ein weiterer Vorteil von Marktplätzen ist auch, dass die Reichweite schon vorhanden ist. Auf Marktplätzen verkaufst du dort, wo sich der Endkunde bereits befindet. Jeder kennt Zalando oder About You und viele haben dort auch schon einen Account. Damit Kunden allerdings im Online-Shop der x-ten Marke bestellen, muss das Produkt schon besonders exklusiv sein oder ein bestimmter Service geboten werden.

"Auf Marktplätzen verkaufst du dort, wo sich der Endkunde bereits befindet."

Für welche Unternehmen ist es besonders interessant, auf Marktplätzen zu verkaufen?

Es kommt darauf an, über welche Produkte wir sprechen. Tendenziell ist das für alle Unternehmen interessant, die Konsumgüter verkaufen. Doch ein Doppelpack Socken lässt sich zum Beispiel über Marktplätze nicht profitabel verkaufen, weil die Versandkosten einfach zu hoch sind. Die Frage ist: Wie kannst du dein Sortiment umgestalten, sodass es profitabel ist? Gerade bei Sport– und Modemarken spielt das durch die hohe Retourenquoten und die Saisonalität eine größere Rolle als zum Beispiel bei Baumarktartikeln.

Wie muss eine Marke also ihr Sortiment umstellen, damit sie es auf Online-Marktplätzen profitabel verkaufen kann?

Das ist abhängig von den Verkaufspreisen, von den Produkten und der Retourenquote. Bleiben wir beim Beispiel Socken. Da kannst du wahrscheinlich einen Multipack von acht Paar Socken und einer Retourenquote von 5% für 16,95 Euro profitabel verkaufen. Bei einem Kleid mit 30 Euro UVP mit 70% Retourenquote wird es dagegen wieder eng mit der Profitabilität. Es ist also durchaus möglich, auch im Fashion- und Sportbereich profitabel zu verkaufen. Die primäre Frage ist: Inwieweit bist du bereit, dein Sortiment auf die Erfordernisse anzupassen? Wie kannst du ggf. dein Online-Sortiment adaptieren und es profitabel gestalten?

Warum lohnt es sich für alle Unternehmen, Online-Marktplätze im Blick zu behalten, auch wenn sie dort nicht verkaufen?

Marktplätze eignen sich hervorragend für Research. Man kann dort ziemlich genau sehen, was der Wettbewerb macht. Als Sockenmarke könntest du zum Beispiel Falke oder Tommy Hilfiger beobachten: Wo verkaufen die ihre Socken? Welche Produktbewertungen bekommen sie? Und dann gibt es ja nicht nur große, bekannte Marken, sondern gerade auf Amazon es gibt auch viele No-Name-Brands, von denen du etwas lernen kannst.

Was ist der erste Schritt, um auf Online-Marktplätzen zu verkaufen?

Der erste Schritt ist es, dir bewusst zu werden, wo du hinmöchtest. Du musst dir überlegen, über welche Marktplätze du welche Produkte verkaufen möchtest. Von der Auswahl der Marktplätze ist dann abhängig, wie du dich strategisch aufstellst und welche Tools und Dienstleister du auswählst.

Wichtig ist auch zu wissen, wo du aktuell stehst, also wie viele Aufgaben du selbst übernehmen kannst. Hast du Kapazitäten frei und Mitarbeiter mit Grundwissen über Online-Marktplätze oder bist du komplett blank und brauchst dringend Unterstützung?

Im nächsten Schritt kannst du dich an die Strategie wagen. Wenn du weißt, welche Marktplätze du gern hättest, kannst du die Software auswählen, mit der du deine Produkte online bringst und dich auch für verschiedene Länder entscheiden. Diese Software ist eine Middleware, in der du beispielsweise deine Produktdaten und Bilder hochlädst und die Software schickt diese Daten gebündelt an die Marktplätze. Beim Verkauf werden die Kundendaten in die Software zurückgespielt und an die Logistik weitergegeben.  

Was gibt es bei der Auswahl der Marktplatz-Software-Anbieter zu beachten?

Nehmen wir mal an, du hast dich dafür entschieden, auf fünf Marktplätzen zu verkaufen und es gibt drei verschiedene Software-Anbieter. Anbieter Nr. 1 hat eine Anbindung an zwei dieser Marktplätze, Anbieter Nr. 2 an vier Marktplätze und Anbieter Nr. 3 an alle fünf. Dann solltest du eher den Anbieter mit vier oder fünf Anbindungen wählen. Das Problem ist, dass du das häufig erst erfährst, wenn du etwas tiefer nachhakst.  

Wie geht es weiter, wenn sich eine Marke für eine Software entschieden hat?

Neben der Software spielt dann das Fulfillment eine wichtige Rolle. Anders als im Wholesale musst du auf Marktplätzen häufig auch selber an die Endkunden ausliefern. Die meisten Brands haben aber nur Erfahrungen mit großen Pallettenlieferungen im B2B. Aber ob du 50 Palletten an einen oder zwei Kunden verschickst oder 15.000 Pakete an 15.000 Endkunden ist eine ganz andere logistische Herausforderung. Dabei brauchen viele Marken Unterstützung von einem Dienstleister. Im Fashionbereich geht es auch darum, welcher Logistiker z.B. diese ganzen Retouren handeln kann. Ich möchte ja ein Kleid mit 80% Retourenquote nicht jedes Mal wegwerfen, sondern natürlich aufbereiten und neu verschicken.

„Ob du 50 Palletten an einen oder zwei Kunden verschickst oder 15.000 Pakete an 15.000 Endkunden ist eine ganz andere logistische Herausforderung.“

Manche Marktplätze bieten das Fulfillment selber an, das heißt dann Amazon FBA, also Fulfillment by Amazon, oder ZFS, Zalando Fulfillment Solutions. Da übernehmen die Marktplätze das Einlagern und Verschicken für die Marken. myToys hat das aber beispielsweise nicht. Wenn du dich für einen Marktplatz ohne Fulfillment entschieden hast und die B2C-Logistik nicht selbst stemmen kannst, brauchst du zusätzlich jemanden, der den Versand für dich übernimmt.

Es gibt auch Dienstleister, die sowohl die Software als auch das Fulfillment für dich übernehmen. Daher ist es so wichtig, dir am Anfang bewusst zu werden, wo du stehst und wo du hinmöchtest. Sonst fällt es dir schwer, eine profitable Lösung für deinen konkreten Business Case zu finden.

Was sind die größten Herausforderungen für Marken, die auf Marktplätzen verkaufen?

Die größte Herausforderung ist definitiv, dass großes Unwissen darüber herrscht, wie der Verkauf über Marktplätze funktioniert. Ich werde regelmäßig von Marken gefragt, ob ich ihnen einen Marktplatz-Manager vermitteln kann. Die Antwort ist zur Zeit leider meistens nein. Es gibt einen riesigen Mangel an qualifiziertem Personal, nicht nur auf der Seite der Marken, sondern auch auf der Seite der Dienstleister und der Marktplätze selber. Das ist auch der Grund, warum ich die Marketplace Uni gegründet habe: Es fehlt einfach an Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich.

Auf Zalando gibt es neben dem Partnerprogramm für Marken auch das Connected Retail Programm, bei dem auch Händler Ware auf Zalando verkaufen können. Welche Auswirkungen hat das wiederum auf die Marken?

Es kann sein, dass zum Beispiel die Marke Mammut direkt über Zalando verkauft, aber die Händler von Mammut verkaufen ihre Ware über Connected Retail ebenfalls auf Zalando. Das heißt, für ein Produkt, für eine EAN, gibt es mehrere Anbieter auf einem Marktplatz. Die Problematik dahinter ist, dass sich die Anbieter oft anhand der Preise unterbieten wollen. Denn derjenige, der den besseren Preis hat, verkauft das Produkt, je nach Algorithmus, meist als erstes. So kann es sein, dass sich Händler und die Marke selbst auf einer Plattform im Wettbewerb befinden und das geht dann oft auf Kosten der Verkaufspreise.

Gibt es dafür schon eine Lösung?

Ich rate Marken meist, Produkte mit eigenen EANs zu kreieren, die sie exklusiv über ihren eigenen Retail verkaufen. Das ist eigentlich ein D2C-Ansatz: einen bestimmten Artikel beispielsweise nicht nur in rosa, sondern in auch in rot zu produzieren oder eine blaue Schleife an den rosa Artikel zu nähen. Und diese neuen Artikel sollen sie dann ausschließlich über den Marktplatz verkaufen.

Was glaubst du, wie sich die Online-Marktplätze in den nächsten Jahren weiterentwickeln werden?

Der Trend geht aktuell zu immer mehr einzelnen Marktplätzen. Ich glaube, dass die Marktplätze, die eine Nische gefunden haben, Bestand haben werden. In der breiten Masse wird es sich aber irgendwann auf bestimmte Marktplätze fokussieren müssen. Wer braucht zum Beispiel 20 Marktplätze, die Fashion für Gesamteuropa verkaufen? Da wird sich in den nächsten Jahren herauskristallisieren, wer das Rennen machen wird.

Für eine Marke ist es ja auch nicht interessant, allein in Deutschland auf 15 verschiedenen Marktplätzen zu verkaufen, sondern sich auf eine Handvoll für sie wichtige zu fokussieren. Und Europa ist ja groß, da gibt es dann auch in jedem Land nochmal eigene Spitzenreiter.Insgesamt glaube ich, das Thema Online-Marktplätze wird noch relevanter werden. Marken werden kaum noch darum herumkommen, sich damit zu beschäftigen. Im Grunde genommen ist die Frage nur noch, wann und wie sie sich damit beschäftigen und nicht mehr ob sie es machen. Auch wenn viele sich noch gegen dieses „ob“ sträuben.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch.

Marie Wetzel
Marketing Manager

Über Valerie

Valerie Dichtl ist Expertin für digitale Marktplätze mit über 10 Jahren Erfahrung im Sport- und Mode-E-Commerce. Sie trainiert und berät Marken, um ihre Produkte über große europäische Marktplätze wie Zalando, Amazon, About you & Co. verkaufen zu können.

Mit ihrem Hintergrund als Vendor Manager bei Amazon und ihrer Arbeit als Online Wholesale und Marketplace Key Account Manager für eine Marke, hat sie einen 360° Blick auf die Online-Textilindustrie. Sie liebt es, ihr Wissen zu teilen und Marken in der von ihr gegründeten Marketplace Uni zum Marketplace Manager auszubilden.

Um mehr über Valerie Dichtl zu erfahren, besuchen Sie ihr LinkedIn-Profil.

XPLN unterstützt die Marketplace Uni als Partner und Experte für Pricing auf Marktplätzen. Weitere Informationen zur Marketplace Uni und allen Kursen finden Sie hier: www.marketplace-uni.com.