Wie sich ein 280-Milliarden-Dollar-Markt dreht
Edelsteine, Diamanten und Schmuck wurden bisher meist offline verkauft. Das Potenzial für Online-Verkäufe ist allerdings riesig. Verändert sich hier ein ganzer Markt?
Dieses Schmuckstück schrieb schon Kinogeschichte. Im Klassiker „Pretty Woman“ betritt Julia Roberts in einer Szene des Films einen großen Raum, gekleidet in ein leuchtend rotes Kleid, weißen Handschuhen und bereit für den ganz großen Auftritt.
Etwas aber würde noch fehlen, sagt Richard Gere mit einem Lächeln auf den Lippen und öffnet eine Schatulle, dessen Inhalt sie staunen lässt: ein Halsband mit funkelnden Rubinen. Als Roberts dann nach dem Halsband greifen will, lässt Schauspielkollege Gere die Schatulle unabgesprochen zuschnappen und Roberts entfährt ein Lachen, das die Szene zu einer Ikone der Filmgeschichte machen sollte.
Mehr als 30 Jahre später ist die Welt nicht mehr nur von Roberts, sondern auch von Edelsteinen, Diamanten und generell Schmuck so begeistert wie vielleicht noch nie zuvor. So hat der Preis für Rubine aus Myanmar im vergangenen Jahr eine entscheidende Marke übersprungen. Nimmt man den Wert von 2015 als Basiswert, hat sich der Preis bis 2021 verzehnfacht. Neben den Preisen für Rubine stiegen auch die für Smaragde oder Saphire aus bestimmten Ländern auf immer neue Höchstwerte und etablierten sich an den Hälsen, Fingern und Handgelenken als trendiges Schmuckstück. Neben der Herkunft hängt der Wert eines einzelnen Steins vor allem mit vier Cs zusammen: Carat (Gewicht), Color (Farbe), Cut (Schliff) und Clarity (Reinheit). Der teuerste je verkaufte Rubin, der „Sunrise Ruby“, wurde als Schatz der Natur bezeichnet und erlöste mit rund 30 Millionen US-Dollar mehr als das Dreifache des bis dahin teuersten Rubins. Seit einigen Jahren bereits machen sie dabei auch immer mehr den Diamanten Konkurrenz, wenn sie auch preislich nicht an den König der Edelsteine heranreichen.
Diese Steigerung der Rubinpreise ist aber nur ein kleiner Indikator für einen viel größeren Trend. Denn nach einem Einbruch der Verkäufe in der Pandemie, zieht der Markt für Luxusschmuck und Uhren jetzt wieder an. Experten erwarten demnach ein jährliches Umsatzwachstum von drei bis vier Prozent im Zeitraum von 2019 bis 2025 – und das pro Jahr. Dabei wird insbesondere ein Kanal immer interessanter für die zunehmend junge Kundschaft: E-Commerce.
Corona, das zeigen die Zahlen des Handelsverband Juweliere (BVJ), hatte die Branche hart getroffen. Allein im Krisenjahr 2020 ging der Umsatz mit Schmuck und Uhren demnach um elf Prozent zurück. Ausgerechnet die bis dahin stiefmütterlich behandelten E-Commerce-Angebote konnten aber punkten. So konnte der Onlinehandel entgegen dem Trend sogar um fast zehn Prozent auf 1,2 Milliarden Euro wachsen, was bereits einen Ausblick auf die kommenden Jahre geben dürfte.
Eigentlich sind edle Schmuckstücke, die wertig in der Hand liegen und ihre ganze Schönheit meist erst in der Realität zu erkennen geben, schwierig über das Internet zu verkaufen. Das könnte man zumindest meinen, wenn man sich den Online-Anteil von Schmuck und Uhren in den vergangenen Jahren anschaut. Einer Stichprobe unter deutschen Einzelhändlern zufolge lag der E-Commerce-Anteil von Schmuck und Uhren lange Zeit bei weit unter zehn Prozent, was im Vergleich zu anderen Segmenten extrem wenig ist. Selbst die Unternehmensberatung McKinsey beziffert in einer Studie zusammen mit „The Business of Fashion“ den E-Commerce-Anteil von Schmuck für das Jahr 2019 gerade einmal auf 13 Prozent; bei Uhren, so schreiben die Experten, sei der Anteil noch wesentlich geringer – und das war vor dem Umsatzeinbruch in der Pandemie.
Doch besonders die jüngere Generation dürfte das ändern, wie ein Index der Münchner Schmuckmesse zeigt. Demnach kauften bereits vor der Pandemie 37 Prozent der 18 bis 35-Jährigen ihren hochwertigen Schmuck oder Uhren beim Online-Shop des Herstellers, 38 Prozent beim Online-Shop des Händlers und gerade einmal 44 Prozent bevorzugen den Händler vor Ort. Wo sich also im breiten Segment noch eine wahre Lücke zwischen Off- und Online zeigt, ist bei der jüngeren Generation, die mit Smartphone, iPad und Laptop aufgewachsen ist, eine deutliche Umorientierung zu beobachten. Zudem lassen sich die wichtigsten Attribute für den Wert eines Edelsteins, seine Herkunft und die genannten 4Cs, im Onlinehandel einfach abbilden. Dies macht die Schmuckstücke vergleichbar und senkt die Hürden für einen Online-Kauf.
Wie stark der Einfluss sein könnte, das zeigt der Blick in die Zukunft: Langfristig erwarten Experten von beispielsweise McKinsey nicht weniger als einen Multi-Milliarden-Markt für Schmuck im E-Commerce. So gehen sie davon aus, dass der E-Commerce-Umsatz von 13 auf bis zu 21 Prozent steigen kann und damit langfristig 60 bis 80 Milliarden US-Dollar schwer sein dürfte (Gesamtmarkt: 280 Milliarden US-Dollar). Ob Julia Roberts ihren Schmuck dann auch online kauft?